Dreimaliger Olympiasieger, zweimaliger America’s-Cup-Gewinner und Mitbegründer der Deutschen Segel-Bundesliga – Jochen Schümann im Interview mit der Segler-Zeitung über den Segelsport in Corona-Zeiten, im Interview nimmt der 66-Jährige Stellung zu den deutschen Olympiachancen im kommenden Jahr und dem Stellenwert der Segel-Bundesliga:
Jochen, du bist bis heute aktiver Segler: Was begeistert dich am Segeln?
Segeln ist einfach eine traumhafte Sportart in der Natur und hat unzählige Facetten. Sie reicht vom Freizeitsegeln, über das Kitesurfen bis hin zum Big Boat Segeln. Im Vergleich zu anderen Sportarten ist nicht eindeutig, was Segeln ausmacht – es kann für jeden Segler etwas sehr Individuelles sein. Dadurch finden die unterschiedlichsten Menschen Zugang in die Segelwelt. Ich habe durch das Segeln eine Menge toller Menschen kennengelernt und viele enge Freundschaften geschlossen.
Würdest du sagen, dass sich der Segelsport in den letzten Jahren verändert hat?
Die Technologie spielt eine große, wenn nicht sogar zu große Rolle. Vergleichbar mit der Formel 1 scheint auch der Segelsport schrittweise zu einem Wettbewerb der Ingenieure zu werden. Der Mensch sollte jedoch weiterhin im Vordergrund stehen – und damit der Wettbewerb zwischen den Personen und nicht den Technologien.
In diesem Jahr hat auch die Corona-Pandemie für viele Veränderungen in der Welt gesorgt. Welche Auswirkungen hatte das auf den Segelsport?
Alle Top-Events, die die Segelwelt vereinen, wurden abgesagt oder verschoben – so auch die Olympischen Spiele. Die Zuschauerproblematik, mit welcher viele Veranstaltungen konfrontiert sind, fällt jedoch beim Segeln praktisch weg. Die hohe Anzahl der Teilnehmer ist die Schwierigkeit. Auf dem Wasser ist es natürlich ein kleineres Problem. Auch wenn zum Teil über hundert Boote an einer Regatta teilnehmen, hat man Abstand und frische Luft zwischen sich und seinen Mitstreitern. Im Hafen treffen wir uns jedoch dann alle wieder und unterliegen denselben Einschränkungen wie in anderen Sportarten.
Kannst du als ehemaliger Olympiasegler nachempfinden, was die Olympioniken in diesem Jahr durchmachen?
Die Planbarkeit für die Sportlerinnen und Sportler ist in diesem Jahr vollkommen verloren gegangen – diese ist jedoch gerade im Profisegeln essentiell. Es war nicht klar, auf welchen Zeitpunkt und welchen Jahreshöhepunkt man hinarbeitet. Das macht den zielgerichteten Sport fast unmöglich. Wenn man bei Olympia erfolgreich sein will, muss man sich vier Jahre lang intensiv vorbereiten. Die Pandemie hat diese Planung ziemlich durcheinander gerüttelt – und das unterschiedlich stark in verschiedenen Regionen der Welt. Leider ist auch die Planung für das nächste Jahr noch mit sehr vielen Fragezeichen versehen.
Nun stehen die Olympischen Spiele im Regattakalender für 2021. Siehst du Medaillen-Hoffnungen unter den deutschen Teilnehmern?
Bei den letzten Spielen in Rio gewannen Erik Heil und Thomas Plößel die Bronze-Medaille im 49er – das war ein super Erfolg für Segeldeutschland. Das Team ist nach wie vor in der internationalen Spitze dabei – aus meiner Sicht echte Medaillen-Kandidaten. Philipp Buhl hat nicht zuletzt durch seinen Weltmeistertitel zu Beginn dieses Jahres bewiesen, dass er der beste Laser-Segler der Welt sein kann. Auch Tina Lutz und Susann Beucke im 49er FX sind extrem stark und haben ohne Frage Chancen auf eine Medaille.
Als Mitgesellschafter der Konzeptwerft Holding GmbH zusammen mit dem Team rund um Oliver Schwall bist du Mitbegründer der Deutschen Segel-Bundesliga (DSBL) und in den Anfängen sogar noch selbst für deinen Verein Yacht Club Berlin Grünau an den Start gegangen. Wie hat sich die DSBL seit ihrem Beginn entwickelt und welchen Stellenwert hat sie heute für den deutschen Segelsport?
Mit der Gründung der DSBL wollten wir etwas schaffen, das den Vereinssport im Segeln fördert. Heute ist sie eine Plattform für einen starken Wettbewerb zwischen den Vereinen. Junge und leistungsambitionierte Performance-Segler, die nicht unbedingt auf Olympia hinarbeiten, da sie Beruf, Studium oder Schule in den Vordergrund stellen müssen, haben die Chance mit kleinerem Aufwand in ihren Vereinen zu trainieren und sich mit den Besten des Landes zu messen.
Auch für gemischte Teams ist die Liga ein super Format. Ein gesunder Mix macht am Ende ein super leistungsfähiges Team aus. Dass junge und erfahrene Segler, sowie Frauen als auch Männer gemeinsam auf einem Boot antreten können, passt nicht nur in unsere Zeit, sondern auch zu den Strukturen in den Vereinen. Das kann man gut an der steigenden Frauenquote in der Liga sehen.
Bei der Liga entfällt zudem eine immense Einstiegshürde für den Segelsport: ein Boot zu besitzen. Die Ausrüstung aller Teams ist identisch und die Boote für die Regatten werden durch die Organisatoren gestellt – kostspielige Materialoptimierungen von Segeln, Rümpfen und Masten fallen weg.
Mit der Bundesliga wurde eine große Lücke gefüllt, was sie für Vereine attraktiv macht. Sie ist genau das Richtige für die Vereine und insbesondere für den ambitionierten Nachwuchs.
Über die Segel-Bundesliga wird in den lokalen und regionalen Medien wahrscheinlich mehr geschrieben als über jede andere Regatta. Was macht aus deiner Sicht den Erfolg der Liga aus?
Der Lokalpatriotismus sorgt sicher wie bei anderen Sportarten dafür, dass die Medien gern über die Vereine berichten. Die Liga hat eine Tabelle mit Auf-und Absteigern, Erst- sowie Zweitligisten und angetreten wird an Spieltagen. Die Vergleichbarkeit zum Fußball ist gewollt und macht es sehr zugänglich für eine breite Öffentlichkeit. Die ganze Systematik des Vereinswettbewerbs ist sehr ähnlich zu anderen Sportarten – und das mittlerweile in ganz Europa und darüber hinaus. Das Konzept hat sich recht schnell verbreitet und wurde bis heute in 21 Ländern umgesetzt. Die besten Vereine einer jeden Liga treffen in der SAILING Champions League aufeinander – eine große Ehre und zugleich Herausforderung für die Seglerinnen und Segler.
Trotz gelungenem Saisonstart und spannenden Spieltagen in diesem Jahr war auch die DSBL nicht von der Corona-Pandemie verschont. Was war in dieser Corona-Saison anders als sonst?
In diesem Jahr ist es offensichtlicher denn je geworden, wieviel Kompetenz und positive Emotion in den Ligavereinen herrscht, die gemeinsam mit der Konzeptwerft dafür gesorgt haben, dass die Saison stattfinden kann. Die Restriktionen haben die Saison mit Sicherheit erschwert. Sowohl Trainings in den Vereinen als auch die anstehenden Regatten lagen zunächst auf Eis. Im Sommer wurde dann jedoch ein vernünftiger Weg gefunden, die Saison zu starten.
Wo siehst du die Zukunft der Liga?
Die Liga ist ein sehr erfolgreiches Konzept und ich hoffe, dass es so weitergeht – erfolgreiche Dinge muss man nicht immer ändern. Die Liga entwickelt ihre eigene Historie und ihren Wert, indem sie über lange Zeit stattfindet und dabei der gleiche Wettbewerb bleibt. Wir können stolz darauf sein, dass sich mittlerweile sogar internationale Topsegler zur DSBL gezogen fühlen und mit ihren persönlichen Stärken für einen deutschen Verein antreten und andere sich daran messen können und müssen. Einige sehen das kritisch. Aus meiner Sicht kann es in diese Richtung gerne weitergehen – wie in der Bundesliga der Fußballer.
Hast auch du noch Ziele im Segeln?
Ich habe nach wie vor großen Spaß am Segeln. Gleichzeitig möchte ich die Sachen, die ich mache, in Perfektion erledigen und andere daran teilhaben lassen. Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben, um gemeinsam im Team besser zu segeln. Damit ist jeder Wettbewerb eine neue Herausforderung, egal ob er am Wochenende auf dem Starnberger See stattfindet oder in Porto Cervo bei der Maxi-Yacht-WM. Es geht nicht mehr um ganz große Trophäen, sondern um den Spaß und den Erfolg im Team.
Photo credits: DSBL / Lars Wehrmann